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Datum: 11.11.2021

Geschichte als Prozess des Wandels - Entwurf für "Ausländerkrankenhaus" vorgestellt

Die weitere Entwicklung des Gedenkorts „Ausländerkrankenhaus“ war am 10. November Thema im Ausschuss für Soziales und Kultur. Der von der Gemeinde beauftragte Künstler Mikka Wellner war vor Ort und stellte seinen Gestaltungsentwurf vor. Vorangegangen waren intensive Abstimmungen mit der Ideenwerkstatt, die das Projekt „Ausländerkrankenhaus“ von Beginn an begleitet hat und auch an dem im Jahr 2013 eröffneten Stelenrundweg konzeptionell mitwirkte.

In zahlreichen Vor-Ort-Terminen machte Mikka Wellner sich mit dem Thema vertraut und nahm Impulse und Hinweise der Ideenwerkstatt auf. Auch das für die Erforschung der Historie dieses Geländes beauftragte Büro für Zeitgeschichte, war eng in diesen Prozess eingebunden. Das Ergebnis ist ein Entwurf, der die bestehenden Strukturen behutsam aufgreift und dabei Geschichte und Gegenwart auf besondere Weise verbindet.

Desinfektionsgebäude als Mahnmal gegen das Vergessen

Zentrales Element der Gestaltung ist das ehemalige Desinfektionsgebäude, das als einer von zwei Bestandsbauten des im Jahr 1942 eröffneten Lagergeländes, die Zeit überdauerte. In den vergangenen Jahren wurde das Gebäude vor dem Verfall bewahrt. Das stark beschädigte Dach wurde erneuert und ein Schwammbefall beseitigt. Auf diese Weise steht das Gebäude auch zukünftigen Generationen als mahnendes Monument zur Verfügung.

Durch minimalistische Eingriffe und unterschiedliche Materialität soll die bewegte Baugeschichte des Gebäudes visualisiert werden. So werden die nicht-bauzeitlichen Veränderungen, wie etwa der Anbau oder die nachträglich eingelassenen Fenster, durch unterschiedlich ausgestalteten Putz akzentuiert.

Mikka Wellner: „Ziel ist es, auf diese Weise subtil auf die nachträglichen Veränderungen und die unterschiedlichen historischen Nutzungen des Gebäudes zu verweisen. Die Nutzung des Hauses, etwa durch die russische Kommandantur, als Wohnhaus eines Gärtners und später als Leinwand von Graffiti-Sprühern bis zum Gedenkort, zeigt, dass Geschichte nicht als ein statischer Blick auf einen bestimmten Punkt in der Vergangenheit zu verstehen ist, sondern eher als ein Prozess des ständigen Wandels und des Verstehens.“

Wildblumen für die Umfeldgestaltung

Auch das unmittelbare Umfeld des Desinfektionsgebäudes wird in die zukünftige Gestaltung einbezogen. Einem vermaßten Lageplan aus dem Jahr 1946 zur Folge, befand sich in direkter Nähe des Desinfektionsgebäudes eine Baracke. Um die räumlichen Dimensionen einzelner Baracken im Verhältnis zur Größe des gesamten Areals zu veranschaulichen, soll die Grundfläche der sogenannten Baracke 4 durch ein Hochbeet nachempfunden werden. Auf diese Weise werden die enormen Ausmaße des Lagergeländes besser erfahrbar gemacht.

Das Hochbeet soll typische Wildblumen aus den Ländern enthalten, aus den die damals internierten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter stammten. Mikka Wellner: „Zu dieser Idee wurde ich durch das Wildblumenbeet am S-Bahnhof Mahlow inspiriert. Ein gewollter Effekt wäre es, wenn sich die Samen der Wildblumen mit der Zeit von selbst auf dem übrigen Gelände aussähen und so das gesamte Areal und dessen Geschichte sich aneignen und neu bestimmen würden.“ Im Zentrum des Beetes ist eine Freifläche mit Tischen und Bänken geplant. Diese könnten für unterschiedliche Veranstaltungen und Vermittlungsprogramme, für Vorträge, Gespräche oder Workshops genutzt werden.

An der Nordseite des Beetes soll eine ca. 2,50 m hohe Glaswand aus Sicherheitsglas mit eingeschlossener Silberfolie entstehen. Hier sollen die 1.494 Opfer des Ausländerkrankenhauses Mahlow namentlich genannt werden. Auf der gegenüberliegenden Seite des Beetes soll eine ebenfalls 2,50 m hohe Glaswand angebracht werden, auf der alle Namen der bekannten Opfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland nach 1945 aufgeführt werden. Darunter sind auch die Namen Dieter Manzke und Noel Martin vertreten, deren Geschichte für immer mit der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow verbunden sein wird.

Digitaler Ausblick

Über die konkreten Entwürfe hinaus stellte Mikka Wellner noch einen Ausblick vor, der über das analoge, gegenständliche Denkmal hinausgeht. Um die tatsächlichen räumlichen Ausmaße und Strukturen des gesamten Krankenhauskomplexes zu verdeutlichen, könnte man mit Hilfe von Augmented Reality - also die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung - alle Baracken des Geländes virtuell nachbauen.

Mit Hilfe eines QR-Codes könnten sich die Nutzer auf dem individuellen Display eines Smartphones einen Eindruck von der Anordnung der einzelnen Baracken machen. Dabei vermischen sich das reale Bild der Umgebung mit dem computergeneriertem, historischen Nachbau des Krankenhauskomplexes. Videos, akustische Zeitzeugenberichte und weitere Texte vergrößern das Angebot und die Möglichkeiten der Wissensvermittlung. Mit diesem Konzept soll insbesondere für die jüngere Generation ein Zugang zur Gedenkkultur kreiert werden.

Ausschuss empfiehlt Umsetzung

Die Mitglieder des Ausschusses für Soziales und Kultur nahmen das Konzept durchweg positiv auf. Die Umsetzung des vorgestellten Entwurfs wurde einstimmig empfohlen – bei einer Enthaltung. Zur konkreten Umsetzung werden die Mitglieder des Ausschusses gemeinsam mit der Ideenwerkstatt noch Detailfragen beraten. So kam die Frage auf, ob Opfer aus osteuropäischen Ländern in kyrillischer Schrift aufgeführt werden sollen? Wird das Alter der Verstorbenen mit angegeben? Wie wird die neue Wegeführung konkret umgesetzt? Wie schafft man einen möglichst barrierefreien Zugang? Und soll der Gedenkort weiterhin den im Nationalsozialismus etablierten Namen „Ausländerkrankenhaus“ führen?

All diese Fragen müssen noch diskutiert und geklärt werden. Aber auch das ist Teil des Projekts „Ausländerkrankenhauses“. Durch die bewusst schrittweise und kleinteilige Entwicklung, die sich über die Jahre hinzieht, werden immer neue Gruppen und Akteure mit dem Thema betraut und einbezogen. Dadurch findet eine stete Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes statt. Gerade diese bewusst schrittweise Weiterentwicklung macht das Projekt schon jetzt zu einem ganz besonderen Gedenkort.

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